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Gedenken an NS-Opfer
Sieben Stolpersteine verlegt


Sie waren jüdischen Glaubens oder Anhänger der Sozialdemokratie. Sie waren psychisch krank oder auch nur psychisch angeschlagen. Es waren Männer und Frauen. Es waren Arbeiter, Hausfrauen oder Kaufleute. Doch so unterschiedlich die Menschen waren – sie hatten zwei Dinge gemeinsam: Sie waren Tuttlinger Bürgerinnen und Bürger. Und sie passten nicht ins menschenverachtende Weltbild der Nationalsozialisten. Deshalb wurden sie vertrieben, verfolgt, inhaftiert, drangsaliert – und auch ermordet.

Albert Glocker verlegt den Stein für Hedwig Glocker.

Gedenken an NS-Opfer: Albert Glocker verlegt den Stein für Hedwig Glocker.

Seit Dienstag erinnern sieben weitere Stolpersteine an die Biographien dieser Menschen. „Den Nazis ist eines nicht gelungen“, so Oberbürgermeister Michael Beck in seiner Begrüßung, „nämlich diese Menschen auch aus der Erinnerung zu tilgen: Denn sie sind nicht vergessen. Sie leben auch für ihre Angehörigen weiter.“

Diese Angehörigen spielten bei der mittlerweile fünften Stolpersteinverlegung in Tuttlingen eine ganz besondere Rolle: Nachdem der Initiator der Aktion, der Künstler Gunter Demnig, coronabedingt den ursprünglich geplanten Termin absagen musste und beim Ersatztermin diese Woche verhindert war, übernahmen die Angehörigen die eigentliche Verlegearbeit. Assistiert vom Bauhof setzten die Angehörigen sowie andere interessierte Bürgerinnen und Bürger die Stolpersteine in die dafür vorgesehenen Löcher.

Recherchiert wurden die Biographien der Opfer wieder von Museumsleiterin Gunda Woll. Schülerinnen und Schüler des IKG trugen die Texte vor und gaben somit Einblicke in Lebensläufe, die teils gewaltsam endeten. So sind alleine vier der neuen Stolpersteine Opfern der nationalsozialistischen Krankenmorde gewidmet: Hedwig Glocker, Anna Schauer, Adolf Heinrich Zeeb und Maria Grotz wurden allesamt in der Tötungsanstalt Grafeneck ermordet. Der Sozialdemokrat Heinrich Zepf wurde mehrfach inhaftiert und drangsaliert. Er überlebte zwar die NS-Zeit, starb aber kurz nach dem Krieg an den Folgen der in Haft erlittenen Krankheiten. Das jüdische Ehepaar Thekla und Ludwig Maier schaffte zwar unter schweren Umständen die Flucht in die USA, verlor aber mehrere Angehörige in KZs.

Sämtliche Biographien sind im Internet ausführlich dokumentiert – zum einen auf www.tuttlingen.de/stolpersteine, zum anderen auf der Stolperstein-Guide-App. Außerdem gibt es mittlerweile einen eigenen Wikipedia-Beitrag über Stolpersteine in Tuttlingen.

Gunda Woll schätzt, dass mit den mittlerweile 41 Stolpersteinen nicht einmal die Hälfte der Tuttlinger NS-Opfer gewürdigt wird. Bei der Feier am Dienstag kündigte OB Michael Beck daher an, dass die Stadt weitere Steine verlegen werde. An zwei aktuellen Beispielen erläuterte Beck, wie wichtig das Thema auch 76 Jahre nach Ende der NS-Diktatur ist: Im Zusammenhang mit dem Corona-Lockdown sei immer wieder auch die Frage gestellt worden, ob sich eine Gesellschaft den Schutz der Schwachen überhaupt leisten könne. „Genau diese Gedanken waren es aber auch, die – konsequent weiter gedacht – in die Euthanasie führten“, so Beck. Und als im letzten Sommer die großen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen begannen, seien Rechtsextremisten und Antisemiten vorne mit dabei gewesen. „Was mich am meisten schockierte“, so Beck, „keiner der anderen Demonstranten störte sich daran – im Gegenteil: Alle sahen sich als gemeinsame Freiheitskämpfer gegen eine angebliche Corona-Diktatur.“ Die beiden Beispiele zeigten, dass nach wie vor die Gefahr existiere, dass rechtsextremes Gedankengut auch in die Mitte der Gesellschaft sickert.

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